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Da man sich nachvollziehbar nicht gern mit den Übeln dieser Welt befasst, lehnen es viele Windsurfer ab, sich mit möglichen Unfallszenarien zu befassen. Oft hört man als Argument, es sei besser, „positiv“ zu denken. Tatsächlich aber zeigen sportwissenschaftliche Studien eine deutliche Verringerung der Quote an Verletzungen, wenn sich Sportler mit gefährlichen Bewegungssituationen ihrer Sportart auseinandersetzen. So konnte mit Videos zu Verletzungsmechanismen, die bei Skifahrern zum Riss des vorderen Kreuzbandes führen, die Anzahl schwerer Knieverletzungen bei 4700 US-amerikanischen Skilehrern und „Pistenpatrols“ um bemerkenswerte 62% verringert werden. Das Ergebnis wurde erreicht, indem die Teilnehmer auf Lehrveranstaltungen lernten, die zu Knieverletzungen führenden Bewegungsszenarien zu erkennen und auf diese Beinahe-Verletzungssituationen Bewegungsantworten zu entwickeln(1). Praktische Trainings verringern weiteren Studien zufolge nochmals die Quote an Verletzungen des jeweils thematisierten Gelenks. Auch beim Windsurfen lassen sich auf ähnliche Weise typische Verletzungen verhindern.

Die mit Abstand häufigsten Verletzungen werden hier durch das Hängenbleiben in den Fußschlaufen verursacht. Fußverletzungen, insbesondere am Sprunggelenk sowie Verletzungen des Kniegelenks sind die Folge, aufgrund derer von Sportmedizinern wiederholt Schlaufen gefordert wurden, die "eine Freigabe des Fußes im Gefahrenbereich gewährleisten"(2). Jeder erfahrene Windsurfer weiß angesichts der Kräfte, die bei bestimmten Bewegungsweisen über die Schlaufen auf das Board übertragen werden, dass Vorschläge dieser Art technisch schwer realisierbar sind.

Über die Bewegungslehre hingegen finden sich gut umsetzbare Lösungen. Denn in Unfallsituationen gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Man ist entweder von der Situation überrascht, was meist zur Folge hat, wie das Kaninchen vor der Schlange machtlos geschehen zu lassen, was dann eben geschieht. Oder man bereitet sich in Orientierung an Astronauten oder Piloten vor: Man trainiert mit Hilfe von Simulationen Bewegungsweisen, die im Ernstfall bei Beinahe-Unfall-Situationen helfen Verletzungsgefahren abzuwenden.

Der im Folgenden vorgestellte Lehrgang zur Verletzungsprävention besteht aus vier Schritten: Im ersten Schritt wird die für bestimmte Fuß- und Knieverletzungen typische, grundlegende Unfallsituation vorgestellt und deren typischer Verlauf beschrieben. Im Anschluss daran werden in drei Schritten Bewegungsaufgaben vorgestellt, die präventiv aus diesen Unfallsituationen resultierende Verletzungen verhindern helfen.

Schritt 1: Das Erkennen gefährlicher Bewegungssituationen lernen

Ausgangspunkt der meisten Verletzungen ist die Stelle, an der man die volle Kontrolle über das Material verliert. Je länger die Füße - von diesem Zeitpunkt an gemessen - in den Schlaufen verbleiben, desto größer wird das Verletzungsrisiko. Denn das Board bewegt sich nun mehr oder weniger unkontrolliert weiter. In der Folge geraten die Füße, die anfänglich gerade in der Fußschlaufe stecken, oft in eine Position mehr oder wenig schräg zur Schlaufe. Je mehr ein Fuß aus seiner zur Schlaufe geraden Position wegdreht, desto stärker verklemmt er sich in der Schlaufe. Sind beide Füße noch in den Schlaufen, ist ein Verdrehen der Füße nur begrenzt möglich.

Die Situation gewinnt deutlich an Brisanz, wenn nur noch ein Fuß in der Schlaufe hängt. Denn der Fahrer gerät jetzt leicht in eine Position, die zur deutlichen Verdrehung und in der Folge starken Verklemmung des Fußes in der Schlaufe führt. Wenn sich das Board nun unkontrolliert weiterbewegt oder der Fahrer herumschleudert, kann es zu Verletzungen am Fuß- oder Kniegelenk kommen. Das erklärt, weshalb schwere Fuß- und Knieverletzungen meist die Folge des Hängenbleibens nur eines Fußes in der Schlaufe sind.

Besonders große Kräfte und entsprechende Verletzungen entstehen, wenn der mit einem Fuß festhängende Fahrer sich mit seinem Material nach einem Wellenritt inmitten einer brechenden Welle oder im Rahmen eines Sprungs in der Luft befindet. Denn in diesen Gemengelagen wirkt das frei herumschleudernde Material mit enormen Hebelkräfte auf Fuß- und Kniegelenke. Es kann zu Bänderdehnungen, Bänderrissen oder Knochenbrüchen kommen.

Schritt 2: Bewegungsaufgaben zum Sturzgeschehen mit Gabelbaum in Händen

In einer Sturzsituation sollte in Konsequenz der erste Fokus des Fahrers auf dem Herausziehen der Füße aus den Schlaufen gerichtet sein. Und zwar vor dem Zeitpunkt, an dem man gegebenenfalls die Gabel loslässt. Denn die Gabel übernimmt beim Herausziehen der Füße die wichtige Funktion einer Reaktionskraft. Sind die Füße, ohne dass der Fahrer Kontakt zur Gabel hat, noch in den Schlaufen, wird das Herausziehen mangels dieses Gegenpols deutlich schwieriger. Leicht bleibt nun ein Fuß stecken, insbesondere wenn sich Material und Fahrer in der Luft befinden.

Diese vor Verletzungen schützende Bewegungsabfolge sollte eingeübt werden. Dazu nimmt man sich für einen bestimmten Zeitabschnitt vor, „Störungssensibelchen“ zu sein. Sobald eine winzige Störung den Bewegungsablauf behindert, es also ein klein wenig anders läuft als optimal, steigt man aus: Erst die Füße raus, danach die Gabel loslassen. Die Bewegungssituationen, in denen diese Ausstiegsroutine eingeübt wird, sollten individuell unterschiedlich sein. Während für den einen das wesentliche Verletzungsrisiko in Störungen beispielsweise bei Handlungsaktionen zur Steuerung der Gleitfahrt liegt, sieht ein anderer den verletzungspräventiven Trainingsbedarf eher im Rahmen des Wellenabreitens. Für alle Fahrer gilt darauf zu achten, beim Üben keine anderen Wassersportler zu gefährden. 

Schritt 3: Bewegungsaufgaben zum Sturzgeschehen ohne Gabelbaum in Händen Schlaufenabtreten 01a

Es lässt sich nicht vermeiden. Manchmal rutscht die Gabel im Sturzgeschehen aus den Händen und die Füße hängen noch in den Schlaufen. Wenn dann ein Fuß hängenbleibt, ist es meist der hintere. Auch in dieser Situation ist im Vorteil, wer hilfreiche Bewegungsmuster schon verinnerlicht hat. Wie oben deutlich wurde, ist für das Herausziehen des Fußes eine Reaktionskraft erforderlich. Diese lässt sich ohne Gabel in der Hand erzeugen, indem man zeitparallel zum Herausziehen des feststeckenden Fußes mit dem freien Fußes gegen die Boardkante tritt. Dieses „Schlaufenabtreten“ sollte in drei Schritten eingeübt werden:

In einem ersten Schritt wird das Schlaufenabtreten mit ca. 30 Wiederholungen am Strand grundlegend eingeübt (Abb. 1-3). Wenn die Bewegung schon ein wenig geläufig erscheint, sollte man mit geschlossenen Augen weiterüben. Schließlich hat man auch im Ernstfall nicht die Schlaufe im Blick. Anschließend ist diese Übung in hüfttiefeSchlaufenabtreten 02am Wasser zu wiederholen.

Zum Abschluss wird in Form eines Mentaltrainings vertieft. Man legt sich mit dem hinteren Fuß in der Schlaufe rücklings in hüfttiefes Wasser und stellt sich dann mit geschlossenen Augen eine gefährliche Sturzsituation vor. Dann verdreht man im Rahmen dieses „Kopfkinos“ langsam den Körper in Relation zum in der Schlaufe steckenden Fuß und tritt am Ende die Fußschlaufe ab. Das beschriebene Szenario wird nun mehrfach wiederholt und mit jeder Wiederholung allmählich beschleunigt. Dabei sollten auf jeden Fall auch Körperpositionen eingenommen werden, die dazu führen, dass sich am Ende der Kopf unter Wasser befindet. Nicht vergessen, auch mit dem anderen Fuß zu trainieren.

 

Schritt 4: Bewegungsaufgaben zum Sturzgeschehen in der Luft 

Im Springen sehr erfahrenen Fahrern sei empfohlen, das Schlaufenabtreten auch in der Luft zu trainieren. Um die Verletzungsgefahr beim Training in einem akzeptablen Rahmen zu halten, sollte man sich auf Geradeaussprünge beschränken. Schlaufenabtreten 03a

In einem ersten Schritt wird bei jeder sich ergebenden Möglichkeit gesprungen, und zwar im oben schon kennengelernten "Sensibelchen-Modus". Bei der kleinsten Störung erfolgt der Ausstieg, auch hier mit dem Fokus darauf, die Füße aus den Schlaufen zu nehmen und erst danach die Gabel loszulassen. In der Luft sollte ein Ausstieg nur unter der Voraussetzung einer luvwärtigen Positionierung des Fahrers zum Material erfolgen, um nicht vom Material getroffen zu werden oder auf dem Material zu landen. 

Im zweiten Übungsschritt wird ein hoher Geradeaussprung gesprungen, dann erst der vordere Fuß aus der Schlaufe genommen, um anschließend den hinteren Fuß aus der Schlaufe zu treten. Dann wird die Gabel losgelassen.

Ich wünsche viel Spaß beim Üben beziehungsweise beim Anleiten dieses Lehrgangs! 

 (1) Prävention von Knieverletzungen und VKB-Rupturen, Petersen, Wolf et al., S. 542 ff, Deutscher Ärzteverlag 10/2016

(2) bspw. Gosheger, G. u.a. / S. 50 - 54 / Sportverletzung Sportschaden, Thieme Verlag Stuttgart, 2001

Titelbild / Fotograf: Andreas Fischer